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Hochebene
GebetsfahnenGipfelkreuzIch
 
     

Im Oktober 1993 befand ich mich in Chengdu, China, als mich die fantastische Nachricht erreichte, dass Touristen wieder nach Tibet einreisen dürfen. Ich hatte somit als einer der ersten Ausländer die Chance, Tibet, nach den Unruhen von 1989, zu besuchen. Schon lange hatte ich davon geträumt, das "Dach der Welt" zu bereisen. Das dieser Wunsch so schnell in Erfüllung geraten sollte, hätte ich nie geahnt. War es Zufall, dass ich mich gerade in Chengdu aufhielt, der einzigen Stadt die eine Flugverbindung nach Lhasa hatte ...?

 
     
 


Meinen ersten Eindruck von Tibet bekam ich auf dem nur 1,5-stündigen Flug nach Lhasa. Beim Start war der Himmel vollkommen bewölkt. Wir stiegen durch die Wolken und kurz darauf ging die Sonne hinter uns auf. Dann erreichten wir die höchste Bergkette der Welt - den Himalaya. Aus den Wolken ragten plötzlich überall Bergspitzen. Schneebedeckte Bergrücken und sogar hochgelegene Seen lagen friedlich eingebettet in dicken weißen Wolken. Diese 'überirdische' Landschaft schien aus einer anderen Welt zu sein. Die hinduistische Mythologie, nach der die Götter auf den Bergen leben, bekommt bei diesem Anblick eine ganz andere Bedeutung. Diese Landschaft hier, über den Wolken, ist nicht für Menschen geschaffen. Es ist das Zuhause für andere Wesen. Wesen die nicht körperlicher Natur sind, da für körperliche Substanz kein Platz in dieser weichen, weissen und einsamen Welt ist. Die Zeit zum Träumen war schnell vorbei, denn wir tauchten wieder in die Wolken um den Landeanflug zu beginnen. Die Landschaft, die nun zu sehen war, verschlug mir wieder den Atem. Soweit das Auge reichte, sah man scheinbar abgeschliffene braune Hügel. Es war schlecht zu erkennen, ob das Braun Lehm oder Stein war, aber eines war sicher: es gab keinerlei Pflanzenwuchs. In perfektem Kontrast zu der grandiosen Wüste aus braunen Hügeln leuchtete ein tiefblauer Himmel über uns.

 

 
 
Kommunikation
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Nachdem ich mich ein wenig an die dünne Luft im fast 4000m hohen Lhasa gewöhnt hatte und ein bisschen durch die Gassen geschlendet bin, machte ich mich auf, den Jokhang Tempel, das religiöse und geografische Zentrum Lhasas, zu besuchen. Es ist nicht leicht durch die Eingangstür zu treten, da der gesamte Vorplatz mit Gläubigen besetzt ist, die sich ununterbrochen flach auf den Boden schmeissen. Rituell messen die Pilger den Weg zu hohen Heiligtümern mit ihren Körpern ab. Ich durchbahnte mir meinen Weg und gelangte in die Vorhalle. Als erstes umrundete ich den Haupttempel durch einen Gang, in dem sich unzählige Gebetsmühlen drehten. Die Gläubigen (und heute auch ich) hielten diese im Vorbeigehen ständig in Bewegung. Danach reihte ich mich in die Schlange, um, im Uhrzeigersinn, in all die kleinen Räume zu gelangen, die von der Haupthalle abgingen. In der Mitte der Haupthalle sind drei große Buddhas aufgestellt. Um diese zu umrunden, was aus karmischen Gründen selbstverständlich das Ziel eines jeden Gläubigen ist, folgt man der Schlange die einen durch jeden der kleinen Räume führt. Soweit so gut. Nach ca. drei Räumen begann ich an der Veranstaltung zu zweifeln. Warum sollte ich jeden dieser Räume angucken, da doch in allen dieselben gleichen kleinen Buddhastatuen stehen, und in denen überall die gleiche schlechte Luft herrscht? Nach ca. drei weiteren Räumen sah ich das alles jedoch schon ganz anders, denn langsam eröffnete sich mir ein mir neuer Aspekt des tibetischen Buddhismus. Und zwar der Spirituelle. Die meisten Gläubigen tragen Kerzen aus Yak-Butter mit sich. In jedem der kleinen Räume stehen große Kerzen. Als Zeichen der Ehrerbietung schüttet jeder Gläubige etwas von seiner flüssigen Butter in die große Schale. Dies hat den positiven Nebeneffekt, dass die großen Kerzen immer genug Treibstoff haben. Diese Yak-Butter-Kerzen duften nicht gerade wie Bienenwachs. Der Geruch der Räucherstäbchen, die auch exzessiv verbrannt werden, vermischt sich mit der Yak-Butter und nimmt den kleinen Räumen den eh schon kargen Sauerstoff. Ein Effekt stellte sich bei mir ein, der dazu führte, dass ich mich wie selbstverständlich treiben ließ und das nur zentimeterweise Vorankommen als beschwingend empfand. Der Benebelungseffekt verstärkte sich noch durch das monotone Sing-Sang der Menschen und das rythmische Klingen der Glocken und Trommeln. Meiner Meinung nach ist der Tempel keine besondere visuelle Attraktion. Aber die Atmosphäre und die Intensität des Pilgerganges machen diesen Tempel wohl zu einem der bemerkenswertesten die ich bisher gesehen und erlebt habe.

 

 
 
Zentrum des Universums
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Nach einer Woche in Lhasa machte ich mich zum ersten Mal auf, das Land zu entdecken. Die Fahrt im Minibus führte mich zunächst über die beste Straße Tibets in Richtung Flughafen. Der Asphalt ist uneben und übersäht mit Schlaglöchern, aber ich wußte aus Erzählungen, dass ich diese Strecke genießen sollte. Kurz hinter dem Flughafen hörte der Asphalt auf, und eine Sand-Kies-Piste begann. Je weiter südlich wir kamen, desto wüstenähnlicher wurde das Gelände. Die Kies-und Geröllandschaft, die ich bisher von Tibet gewohnt war, verwandelte sich langsam in eine Sandwüste. Der Bus blieb mehrere Male in den Sanddünen stecken, und immer mußten sämtliche Passagiere aussteigen um zu schieben. Immerhin schafften wir die 200 km in sechs Stunden. Ich kam in einem Ort namens Zetong, und meine Begeisterung über diesen Platz hielt sich leider in Grenzen. Die Stadt besteht fast ausschließlich aus einer Art Zementgaragen-Häusern. Diese Architektur vermag es, jegliche Atmosphere, die von der Umgebung hätte ausgehen können, zu zerstören. Eine solche Architektur ist in der Regel ein Indiz für einen hohen chinesischen Bevölkerungsanteil. Seit der Besetzung Tibets sind viele solcher Garagen-Städte gebaut worden, um möglichst viele Chinesen schnell in der Region anzusiedeln. Bereits am nächsten Tag trampte ich dann nach Chongye, einen kleinen Ort ca. 40 km von Zetong entfernt. Da saß ich nun, und befand mich urplötzlich in einer äußerst merkwürdigen Situation. Es gab dort kein Hotel oder Gästehaus, also fragte ich einige Leute, wo ich wohl einen Platz zum Schlafen finden könnte. Alle wiesen mich auf ein kleines Häuschen, vor dem eine alte Frau, ein Mann und mehrere Kinder saßen. Ich ging dorhin und fragte wiederrum nach einem Platz zum Übernachten. Der Mann wies mich ohne Worte auf eine Felldecke neben der alten Frau, und ging. Ich setzte mich neben die Dame und versuchte mehrere Variationen der verbalen und nonverbalen Kommunikation. Aber ich vermochte es nicht auch nur eine einzige Regung aus ihr herauszubekommen. Nach ca. einer halben Stunde hieß mich die Dame aufzustehen. Ich stand auf, sie nahm mir die Decke weg und bedeutete mir wegzugehen. Na ja, ich saß vor ihrem Haus in ihrem Garten, also ging ich und fragte aufs Neue nach einem Schlafplatz. Ein halbes dutzend Leute wiesen mich in die verschiedensten Richtungen, bis ich an ein Mädchen geriet, das mir anbot mich zu führen. Sie brachte mich auf direktem Weg wieder zurück zu dem Haus der alten Dame! Das Mädchen sprach eine Weile mit ihr, und gab mir dann zu verstehen, ich solle außerhalb des Gartens warten. Warten auf was? Ich hatte keine Ahnung, aber was blieb mir anderes übrig? Nach ca. 1,5 Stunden kam eine Frau, die ich vormals schon gesehen hatte und winkte mich heran. Sie führte mich hundert Meter weiter zu einem Zimmer. Ich hatte ein Bett. Jeglicher Versuch diese ganze Prozedur zu verstehen ist mir bis heute nicht gelungen. Ich hatte zumindest die ganze Zeit das Gefühl, dass mir die Leute, mit denen ich zu tun hatte, freundlich gesinnt waren...

 
 
Mount Everest
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Samye Kloster
Samye  
     
 
 


Nach einer langen aufreibenden Fahrt kam ich im Samye-Kloster an. Wie gut, dass ich hierherkam, denn es ist wundervoll (nur mein Durchfall wird immer schlimmer. Ich habe das Gefühl zum Frühstück ein faules Ei gegessen zu haben.) Samye ist eine der wichtigsten buddhistischen Stätten in Tibet. Das Kloster ist fast autark. Fast alles, was die Bewohner benötigen, produzieren sie selbst. Da dieser Ort schon seit dem 7. Jahrhundert existiert, und fast von jeglicher Zivilisation abgeschnitten ist, hat sich hier auch nicht viel verändert. Die Menschen scheinen zu leben wie vor 1000 Jahren. Die Zeit ist einfach stehengeblieben. Das ist auch nicht schwer zu glauben, wenn man sich nur einmal umsieht. Die typisch tibetischen braunen Berge schließen das Tal ein. Ihre Größe und ihre Urkraft scheinen keine Veränderungen zuzulassen. Jeglicher Versuch die Neuerungen einer anderen Welt hierherzubringen erscheint lächerlich. Zum einen ist diese Gegend schwer erreichbar, zum anderen passt technischer Fortschritt nicht hierhin. Denn hier lebt man vom Glauben. Nur so ist die lange Geschichte und die Unglaublichkeit des Überlebens an solch einem Ort zu erklären.

 

 
 
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Rongbuk Kloster
Mount Everest  
     
 
 


Wenn ich heute darüber nachdenke, ist es wohl eines der höchstgelegenen, wenn nicht das höchstgelegenste Kloster der Welt. Rongbuk, ein letzer Aussenposten der Menschheit in 5000 m Höhe am Fuße des Mount Everest. Die freundlichen Mönche dort beherbergten uns für eine Nacht. Die kargen Dreibettzimmer hatten in der Mitte einen kleinen Holzofen. Damit sollte man heizen und sich sein Essen zubereiten, denn die Mönche bieten dem Pilger oder Reisenden lediglich ein Bett. Von diesen Zimmern ging ich ins Kloster hinein um Brennholz zu besorgen. Ich traf einem Mönch und gab ihm zu verstehen, dass ich Holz brauchte. Er wies mich in einen Raum. Dort schaute ich hinein, aber in diesem Schuppen war kein Holz. Ich ging zurück zu dem Mönch und fragte, unter Zurhilfenahme aller nur erdenklichen Gestiken, erneut nach Holz. Er betrachtete mich etwas erstaunt und wies mich wieder zu dem Schuppen. Ich ging also nocheinmal, um mich vor Missverständnissen zu schützen, zu dem Schuppen und schaute hinein. Kein Holz - nur Scheisse. Ich drehte mich zu dem Mönch:"Kein Holz"! Er antwortete:"Holz!" "Kein Holz"! "Holz"! Er kam zu mir herüber, ging in den Raum und kehrte kurz darauf grinsend zurück. "Holz", sagte er und hielt mir triumphierend ein großes Stück Scheiße unter die Nase. Getrockneter Yak-Kot ist der einzige Brennstoff, den es in 5000 m Höhe gibt. Ich dankte ihm beschämt und ging mit meinem Bündel "Holz" zu unseren Unterkünften zurück. Yak-Mist brennt nicht besonders gut, riecht nicht besonders gut und wir gingen mit leerem Magen, in einer kalten, eingeräucherten Hütte ins Bett. Rongbuk und das nahegelegene Mount Everest Base Camp sind grandios!

 
   
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